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Zweiter Teil der mehrteiligen Studie zu Geschwistern von Menschen mit Behinderung oder Erkrankung erschienen

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Verein Raum für Geschwister (VRG) Schweiz

Zweiter Teil der mehrteiligen Studie zu Geschwistern von Menschen mit Behinderung oder Erkrankung erschienen

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Verein Raum für Geschwister (VRG) Schweiz

Zweiter Teil der mehrteiligen Studie zu Geschwistern

von Menschen mit Behinderung oder Erkrankung erschienen

Als zweiter Teil einer mehrteiligen Studie liegen nun die Resultate der quantitativen Befragung von Geschwistern vor. Die erste systematische Erforschung der Lebenssituation von Geschwistern zeigt Handlungsbedarf auf. Ein weiterer Meilenstein für den Verein Raum für Geschwister auf dem Weg, das Kompetenzzentrum für Geschwister von schwer kranken oder behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in der Schweiz zu sein.

Nachdem der Verein Raum für Geschwister (VRG) im Sommer 2020 die Umsetzung der schweizweit ersten Studie zur Thematik der Geschwisterkinder bei der Hochschule Luzern Soziale Arbeit in Auftrag gegeben hat, liegen nun ergänzend zum Literaturbericht (erster Teil der Studie) als zweiter Bestandteil der Gesamtstudie die Ergebnisse der quantitativen Befragung von Geschwisterkindern und Erwachsenen Geschwistern von Menschen mit einer chronischen Krankheit oder Beeinträchtigung vor. «Wir freuen uns, dass die Ergebnisse der quantitativen Befragung die von uns gemachten Erfahrungen im Berufsalltag bestätigen», so Theresia Marbach, Präsidentin des VRG.

Erstmals systematische Erforschung der Lebenssituation von Geschwistern

Die Lebenssituation der Geschwister von Menschen mit Beeinträchtigungen wurde bisher in der Schweiz nicht systematisch erforscht. Das Ziel der Untersuchung ist, entwicklungsfördernde und entwicklungserschwerende Lebenssituationen von Geschwistern von Menschen mit Beeinträchtigungen im Kindes- und Erwachsenenalter zu beschreiben. Dazu wurden Informationen zu objektiven Lebensbedingungen und subjektive Einschätzungen erhoben.

Aufgrund der Ergebnisse können nicht nur Chancen und Herausforderungen beim Aufwachsen mit einem Geschwister mit Beeinträchtigung aufgezeigt werden, sondern auch notwendige Unterstützung für die Geschwister und ihre Familien sichtbar gemacht werden.

Ergebnisse der Befragung der Geschwister im Kindesalter

Fast alle Geschwister im Kindesalter geben an, dass sie ihrem beeinträchtigten Geschwister helfen: Sie leisten hauptsächlich soziale und emotionale Unterstützung. Zum Beispiel passen sie auf ihre Geschwister auf, während eine erwachsene Person in der Nähe ist, leisten ihnen Gesellschaft oder begleiten sie zu Freunden, Freundinnen oder Verwandten. Unterstützungsleistungen mit einer höheren Betreuungsintensität, wie zum Beispiel beim An- oder Ausziehen oder beim Duschen zu helfen, werden deutlich weniger oft genannt. Diese Hilfeleistungen sind insgesamt vergleichbar mit betreuenden Kindern und Jugendlichen in der Schweiz («Young Carers»), welche in einer vorangehenden Studie dargestellt wurden (vgl. Otto et al. 2019).

Das wünschen sich gesunde Geschwisterkinder

Als wichtigste Unterstützungen für sich selbst bestimmen die befragten Geschwisterkinder, dass sie ihren Hobbys nachgehen können, sie über die Krankheit ihres Geschwisters informiert werden sowie sie in schwierigen zwischenmenschlichen Situationen Tipps erhalten und sie über ihre Gefühle und Sorgen sprechen können. Ein Drittel der Befragten gibt an, nicht immer genug Unterstützung zu erhalten. Als fehlende Unterstützung bezeichnen 10 Kinder, dass ihnen Zeit mit ihren Eltern fehlt. Viele der Kinder geben zudem an, dass sie selbst keine Hilfe suchten.

Ergebnisse der Befragung der Geschwister im Erwachsenenalter

Als bereichernde Erfahrungen im gemeinsamen Aufwachsen mit einem Kind mit Beeinträchtigung werden von erwachsenen Geschwistern am häufigsten das Lernen von Rücksichtnahme sowie Erinnerungen an viele schöne Erlebnisse genannt. Auch andere Untersuchungen zeigen, dass sich Geschwister von Menschen mit Beeinträchtigung als besonders sozial orientierte Menschen wahrnehmen, vielfach einen sozialen Beruf wählen und sich zudem für das Geschwister mit Beeinträchtigung verantwortlich fühlen (vgl. Adler & Mikolasek, 2021).

Die erwachsenen Geschwister machten rückblickend in ihrer Kindheit aber auch belastende Erfahrungen. Am belastendsten war für sie, dass sie sich von den Eltern weniger beachtet fühlten als ihre Geschwister mit Beeinträchtigung. Zudem fühlten sie sich verantwortlich für das beeinträchtigte Geschwister.

Es fällt auf, dass Geschwister, die von belastenden Erfahrungen in der Kindheit berichten, ihre eigene aktuelle Gesundheit schlechter bewerten. Geschwister, welche rückblickend von bereichernden Erfahrungen berichten, schätzen ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand besser ein.

Erwachsene unterstützen Geschwister emotional und sozial

Geschwister im Erwachsenenalter engagieren sich am häufigsten in der emotionalen Unterstützung und in der sozialen Begleitung wie zum Beispiel eine Freude machen, trösten, Angst nehmen, bei einem Fest begleiten. Eher selten helfen sie Geschwistern in administrativen und finanziellen Belangen und auch unterschiedliche Formen von Beistandschaft werden nur knapp von einem Viertel der Geschwister übernommen. Allenfalls könnte das daran liegen, dass die Antwortenden in der Mehrheit jung sind und diese Aufgaben noch von den Eltern der Kinder mit Beeinträchtigung übernommen werden.

Bei den Erwachsenen sticht die Aussage heraus, dass nur ein kleiner Teil der Geschwister rückblickend Wut oder Zorn gegenüber dem Geschwister mit Beeinträchtigung wahrnimmt und ein grosser Teil sich rückblickend nicht überfordert fühlte.

Angaben zu den Teilnehmenden

Die Altersspanne der befragten Geschwister im Kindesalter liegt zwischen 5 bis 18 Jahren. Die Hälfte davon ist zwischen 10 und 13 Jahren alt. Ihre Geschwister mit Beeinträchtigung sind zwischen 2 und 19 Jahren alt und leben meist zu Hause.

An der Befragung für Geschwister im Erwachsenenalter haben sich 162 hauptsächlich jüngere erwachsene Geschwister beteiligt. Fast die Hälfte ist zwischen 19 und 30 Jahre alt. 80 % der Befragten sind Schwestern von Menschen mit Beeinträchtigungen. Die Hälfte ihrer Geschwister mit Beeinträchtigung leben in einem Wohnheim, rund ein Drittel lebt bei den Eltern.

Auffallend ist, dass sich kaum Geschwister von Menschen mit chronischer Erkrankung an der Umfrage beteiligt haben – weder Kinder noch Erwachsene.

Vulnerable Geschwister identifizieren

Abschliessend belegt der Bericht zu den Ergebnissen der Geschwisterbefragung, genauso wie es bereits die Literaturrecherche tat, dass Geschwister von Menschen mit Behinderung oder schwerer Erkrankung keine homogene Gruppe darstellen. Der Verein Raum für Geschwister und die Hochschule Luzern Soziale Arbeit sind bestrebt, mit der Fortsetzung der Studie vulnerable Geschwister zu identifizieren, damit ihnen bedürfnisgerechte Angebote bereitgestellt werden können.

Ausbau der Aktivitäten

Die Forschungsergebnisse dienen als Grundlage für die Bereitstellung von bedarfsgerechten Unterstützungsangeboten für Geschwister von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit schwerer Krankheit oder einer Behinderung.

((Box) Genaue Zahlen fehlen)

Die genaue Bezifferung von Betroffenen in der Schweiz scheint unmöglich. Detaillierte Zahlen zur Geschwisterthematik wurden bisher nicht erhoben und können nur ansatzweise aus bestehenden Datengrundlagen geschätzt werden. Rund 54’000 Kinder bis 14 Jahre sind von einer körperlichen oder geistigen Einschränkung betroffen, 10’000 davon von einer schweren. Die Statistik besagt, dass 50 Prozent der Kinder mit Geschwistern leben. Entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass eine nicht unbedeutende Zahl von Kindern mit Geschwistern mit Behinderung leben. Hinzu kommen Kinder, welche schwer erkrankte Geschwister haben. Über 38’000 Kinder zwischen 10 und 14 Jahren sind «Young Carers», übernehmen also die Pflege oder Fürsorge für Familienmitglieder.

Weitere Infos: www.geschwisterkinder.ch

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Verein Raum für Geschwister – Kompetenzzentrum für Geschwister von schwer kranken oder behinderten Menschen

www.geschwisterkinder.ch

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